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Gesunder Egoismus – warum Konformität uns schadet

Der Mensch ist ein soziales Wesen – dieser Grundsatz sei einmal außer Frage gestellt. Deshalb wird oft lieber von einem “Wir” ausgegangen, als das “Ich” in den Mittelpunkt zu stellen.

Im Laufe unseres Lebens sprechen wir von einem “Wir” in unterschiedlichen Zusammenhängen. Diese Rolle ändert sich auch mit der Zeit – gleichzeitig haben wir jedoch Anteil an verschiedenen Rollen, die sich oft auch überschneiden. Es geht beispielsweise um ein…

  • Wir als Einheit mit unserer Mutter, in der allerersten Phase unseres Lebens.
  • Wir als Familie, die gemeinsam Zeit verbringt, Probleme löst und den Einflüssen von außen trotzt.
  • Wir als Schulklasse, die ein gemeinsames Ziel verfolgt oder sich gegen die Behandlung von bestimmten Lehrern wehrt.
  • Wir als Paar, das an einer gemeinsamen Zukunft feilt und sich gerne gegenseitig unterstützt.

Die Menschen um uns, machen uns aus

Das “Wir” hat große Bedeutung für uns – auch wenn wir uns darüber nicht immer im Klaren sind. Weil uns diese Verbundenheit wichtig ist, hat sie auch erheblichen Einfluss auf uns.

John Rohn hat den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn er sagt:

“Wir sind der Durchschnitt der fünf Menschen, mit denen wir die meiste Zeit verbringen.”

Jeder, der schon einmal eine langjährige Beziehung durchlebt hat, weiß wovon ich spreche.

Irgendwann ist es schwer, ein “Ich” vom “Wir” zu unterscheiden. Das merkt man auch leicht daran, wenn einem Leute, die in einer Partnerschaft stecken, plötzlich nur mehr in der “Wir-Form” begegnen.

Natürlich ist diese Gemeinschaft auch ein schönes Erlebnis. Aber was wenn das “Ich” immer mehr auf der Strecke bleibt?

Zurück zum “Egoismus”?

Wenn wir an unsere Kindheit denken, wurden wir sicher alle schon einmal mit dieser Ich-Zentriertheit konfrontiert. Denn am Anfang ist es wichtig für uns, uns selber einen Platz zu suchen. Gerade in der Pubertät definieren wir uns durch diese Abgrenzung.

Trotzdem gilt es auch als verpönt, sich zu viele Sorgen um sich selber zu machen. Wer wurde nicht schon einmal als Esel bezeichnet, wenn es wiedereinmal hieß:

“Der Esel geht voran…”

Selbstliebe wird in unseren Kreisen nicht gerade hoch angesehen und es gehört schon einiges an Erfahrung und Übung dazu sich selber (trotzdem) wirklich zu mögen.

Und das, obwohl unsere Gesellschaft das Individuum in den Vordergrund stellt.

Kulturen im Vergleich

Im Gegensatz zu anderen Kulturen zeichnet sich unsere westliche Gesellschaft durch ihren Individualismus aus. Von uns wird behauptet, wir seien eine egoistische Gesellschaft – das Individuum steht (theoretisch) im Mittelpunkt – im Gegensatz zu Kulturen, die ihr Glück in der Gemeinschaft sehen.

Der amerikanische Filmschauspieler Ruck Hudson hat das Ganze so ausgedrückt:

“Individualismus bedeutet heute, dass man alles tut, was alle anderen tun – bloß einzeln.”

Nach Hofstede sieht der Osten die Harmonie mit anderen als zentral an und das Individuum ist nur ein Glied einer Kette mit seinen Vorfahren und Nachkommen.

Nicht selten wird dieser kollektivistische Weltsicht auch als Hintergrund des stetigen Aufstiegs Chinas gesehen.

Gehst du konform?

Das Streben nach Gleichheit bzw. Anpassung ist ein viel beforschtes Terrain in der Wissenschaft (Asch, Sherif, …). Allgemein scheint es im Menschen ein grundlegendes Bedürfnis nach Anpassung und Konsistenz zu geben.

Ein Stück weit scheint Konformität also dazuzugehören. Auch wenn das bedeutet seine eigene Individualität aufzugeben und sich immer mehr am Standard der Allgemeinheit zu orientieren.

“Konformität bezeichnet mit kritischem Beiklang eine Haltung, die sich unter Aufgabe der eigenen Individualität, überdurchschnittlich stark an den Normen und Meinungen der Mehrheit der Gesellschaft beziehungsweise der Bezugsgruppe orientiert.”

Immer mehr Gleichheit – auf Kosten des Individuums

Einer der Bereiche, die heutzutage scheinbar noch sehr bemüht um Konformität ist, ist der Arbeitsbereich. Franchise Unternehmen werden immer mehr zur Normalität, wenn man sich in den großen Städten umsieht. Und jedes Mal wenn ich in einem Betrieb (und wenn er noch so klein ist) einheitliche Arbeitskleidung sehe, blutet mir das Herz.

Man könnte meinen, die Menschen werden lieber von Individuen bedient, die besonders sind und das auch zeigen. Aber scheinbar ist ihnen eine funktionierende Maschine lieber, welche nur ja keinen Nasenring trägt.

Wenn wir uns diese Phänomen genauer anschauen, scheint es fast so als würden wir uns rückwärts bewegen. Bei der Lektüre von Erich Fromms “Die Kunst des Liebens” passen viele Themen erschreckend gut auch in die heutige Zeit.

Dabei kritisiert er nicht nur die Art der Arbeit, sondern auch die fehlende Individualität in vielen Bereichen.

“Der Mensch wir zur bloßen Nummer, zu einem Bestandteil der Arbeiterschaft oder der Bürokratie aus Verwaltungsangestellten und Managern. Er besitzt nur wenig eigene Initiative, seine Aufgaben sind ihm durch die Organisation der Arbeit vorgeschrieben; (…)

Wir erledigen Aufgaben, die uns von oben vorgeschrieben werden. Dabei halten wir uns außerdem an ein vorgeschriebenes Tempo und arbeiten zumeist auch auf eine bestimmte Art und Weise. Selbst die Gefühle, die gefühlt werden, seien oft vorgeschrieben:

“Man hat fröhlich, tolerant, zuverlässig und ehrgeizig zu sein und mit jedem reibungslos auszukommen.”

Kein Platz für Außenseiter

Was muss ich also tun, um nicht konform zu gehen? Reicht es den Job zu kündigen? Oder sich furchtbar schlecht zu verhalten? Wie sozial abweichend muss das Verhalten dazu sein?

Vereinfachend könnte man auch behaupten jedes Verhalten, dass zu sehr vom Durchschnitt abweicht, gilt als nicht konform. Dabei ergibt sich jedoch eine bunte Liste bestehend aus übermäßig dicken oder dünnen Menschen, Mördern, Rothaarigen, Homosexuellen und Verkehrssündern.

Außerdem definieren verschiedene Gruppen anderes Verhalten als abweichend. Das kann man von einer persönlichen Warte aus gut nachvollziehen. Unsere Eltern oder Großeltern haben einen ganz anderen Maßstab, was sozial akzeptabel ist, als wir selber. Ein viel genutzter Ausweg ist oft die goldene Mitte, wenn es darum geht sich zu einigen – aber nicht nur aus diesem Grund.

Die beschützende Mitte

Wer schon einmal eine Befragung durchgeführt hat, weiß, dass es beim Formulieren der Fragen und besonders bei der Beantwortung einiges zu beachten gibt. So gibt es beispielsweise eine Tendenz zur Mitte.

Damit ist die Tendenz der Befragten gemeint, bei mehrstufigen Skalen eher die mittlere Antwort auszuwählen. Um diese Vereinfachung zu vermeiden, wird oft eine gerade Anzahl von Beantwortungsmöglichkeiten gewählt.

Doch auch in anderen Bereichen erhoffen wir uns durch die Wahl der Mitte eine Erleichterung. Generell scheint dieser “Mittelweg” ein Versprechen erhöhter Sicherheit zu sein. Cornelia Koppetsch schreibt in ihrem Buch über dieses Phänomen. Unsichere Zeiten fördern die Anpassung bestimmter Gruppen, um dem vorherrschenden Wettbewerb gerecht zu werden.

“Ängste vor sozialem Abstieg prägen das Lebensgefühl der Mittelschicht. Je größer die Verunsicherung, desto mehr wird die“ Mitte“ als Hort von Sicherheit und Normalität herbeigesehnt.”

Was zieht uns in die Konformität?

Ganz abgesehen von dieser Flucht zu Mitte – was sind diese „Mechanismen“, die uns in die Konformität treiben? Denn irgendetwas müssen wir uns doch daraus versprechen.

Nach Fromm wünschen wir uns Konformität um unser Abgetrenntsein zu überwinden. Wenn er von Abgetrenntsein spricht, meint er damit die grundlegende Erkenntnis bzw. Das Bewusstsein, dass wir trotz allem allein sind und ausgeliefert.

Er kritisiert besonders, dass wir uns diesem Bedürfnis nach Konformität nicht einmal bewusst sind. Viele glauben immer noch, sie seien Individualisten und aufgrund ihres eigenen Denkens zu ihren Meinungen gelangt. Wir versuchen uns durch nichtige Kleinigkeiten abzugrenzen, nur um nicht einzusehen, dass wir doch irgendwie alle gleich sind.

Eine interessante Studie von Deutsch, Morton und Gerard beschreibt informative und normative soziale Einflüsse als Gründe der Anpassung an die Gruppe.

Normativer sozialer Einfluss bedeutet in diesem Fall Anpassung an die positiven Erwartungen von anderen. Beispielsweise wenn ich mich an Regeln halte, weil ich möchte, dass mich andere mögen. Zu den Gründen zählt hier die Vermeidung einer drohenden Sanktion (sozialer Druck) oder auch intrinsische Motive.

Ist der Einfluss informativer Natur, werden die Handlungen anderer als nützliche Hinweise zur Interpretation der Realität betrachtet. Diese Imitation geht einher mit weniger Handlungskontrolle. Dadurch gibt es für Akteure weniger Risiko und Kosten zu tragen.

Bewusste Entscheidung – für mehr Individualismus

Das seltsame bei diesen Einflüssen, die besonders unser Verhalten oder Denken betreffen, ist, dass man es nicht einfach ändern kann. Auch wenn eine bewusste Entscheidung ein Anfang sein kann.

Sich wirklich zu ändern ist ein hartes Stück Arbeit und nur machbar, wenn man es Stück für Stück und über einen längeren Zeitraum angeht.

Die viel zitierte Inschrift des Apollotempels in Delphi gibt uns ein einfaches Rezept: Erkenne dich selbst! Darin finden wir ein Motto, mit welchem wir unser ganzes Leben beschäftigt sind.

Und dazu gehört viel mehr, als nur unser Selbstbewusstsein zu stärken oder unsere Verhaltensweisen anzupassen.

Entwicklung des Selbst als Ausweg aus der Konformität

Ein weiterer sehr sinnvoller Rat stammt aus der Therapie von David Schnarch einem Paar- bzw. Sexualtherapeuten. Der erste Aspekt seiner “Vier Aspekte der Balance” beschreibt das “stabile und flexible Selbst”.

“Das ist die Klarheit darüber, wer Sie sind, was Sie wollen und welche Ziele Sie haben (…)”

Darüber hinaus geht es auch darum, diese Klarheit zu behalten, auch wenn man von anderen unter Druck gesetzt wird. Hat man ständig das Gefühl sich anpassen zu müssen, wenn man mit bestimmten Personen zu tun hat, kann das auch bedeuten, dass man nicht so sicher ist, wie man vielleicht geglaubt hat.

Arbeite an deinem soliden Selbst

In erster Linie ist es wichtig sich klar zu machen, dass dieses Vorhaben ein längerer Prozess ist. Ein starkes, solides Selbst entwickelt sich über längere Zeit, aus einem selbst heraus. Wir müssen dazu Erfahrungen machen – Dinge ausprobieren und uns irren.

Es entsteht nicht einfach aus einem Gefühl von Spaß und Sicherheit heraus, sondern dann, wenn wir über unsere Grenzen hinausgehen. Dazu gehören beispielsweise folgende 3 Punkte:

Der Wahrheit ins Auge sehen

Oft weiß man etwas über sich im Grunde schon, aber man will sich einfach nicht damit befassen. Meist sind das die Dinge, die uns im Wege stehen. Im Grunde stehen wir uns also einfach nur selber im Weg.

Sich selber verstehen lernen

Warum habe ich gerade dieses Gefühl der Unzulänglichkeit? Bin ich es wirklich die Kontrolle über meine Emotionen hat? Erst wenn ich mich selber kenne, kann ich auch verstehen wer ich bin und was ich wirklich will.

Für mich entscheiden

Das heißt: Aufhören Dinge zu tun, nur um anderen zu gefallen. Entscheidungen treffen, so wie sie für mich richtig sind – ohne es ständig allen Recht machen zu wollen.

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